Herbert Schwarz

1925-2017

Herbert Schwarz, auch „Blacky“ genannt, hat vier Konzentrationslager überlebt. In unserem Interview erinnert er sich daran, wie er sich im Schicksalsjahr 1938 mit seiner Familie vor dem Rundfunkempfänger gebannt die historische Rede Schuschniggs anhörte und sie sich fragten, was nun mit ihnen passieren würde. Es dauerte nicht lange, bis sein Vater nach Buchenwald deportiert wurde wo er kurz darauf verstarb und man seine Asche in einer Blechdose zurück nach Hause schickte. Herbert Schwarz und seine Mutter mussten im Rahmen der Aushebungen von Wohnung zu Wohnung ziehen und ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen.Schließlich wurde Blacky in einem Viehwagon ins Ghetto nach Riga deportiert, wo er Zwangsarbeit verrichten musste und Zeuge von Erschießungen, Folter, Razzien und Ausmusterungen wurde. Ähnlich sollten sich die darauffolgenden Jahre in den Konzentrationslagern Kaiserwald, Stutthof (wo seine Mutter verstarb) und  Buchenwald für ihn gestalten. Durch einen Granatsplitter schwer verletzt, wurde Herbert Schwarz unterernährt und an Tuberkulose erkrankt 1945 in Buchenwald befreit. Blacky verstarb 2017 einige Wochen nach den Aufnahmen dieses Liedes. 

„Nach Schuschniggs’ Worten G-tt schütze Österreich ertönte das Senderlogo und wir saßen alle stumm da und fragten uns, was nun mit uns passieren wird. (….) Schon am nächsten Tag stand der Hausmeister, der stets Trinkgeld von uns bekommen hat in seiner SA Uniform mit Hakenkreuz vor der Tür und war der Nazi des Hauses (…) Als ich nach Riga kam, haben die Vernichtungen angefangen. Ich wurde zum Torfstechen in den Sumpf geschickt. Das war schon der halbe Tod. (…) In Kaiserwald haben wir gleich die Sträflingsuniform und Nummer bekommen, hatten kaum zu essen und mussten den ganzen Tag Zwangsarbeit verrichten. So gings in Stutthof und Buchenwald weiter.(…) Ich versteh bis heute nicht, wieso man Leute durch vier KZs schickt anstatt sie einfach gleich umzubringen. Am Ende war ich mit 35 Kilo unterernährt, hatte eitrige Wunden am ganzen Körper und war an Tuberkulose erkrankt. Wenn heute jemand sagt, er hätte überlebt weil er besonders qualifiziert, stark oder intelligent war, dann lügt er. Es war nur Glück. Im richtigen Moment auf der linken statt auf der rechten Seite stehen. Es wurde willkürlich gemordet. Überleben war von jedem Tag aufs Neue nur Glückssache. (…)Ein besonders emotionaler Moment an den ich mich erinnere war mein Geburtstag als ich in Kaiserwald war. Ich bin mit meiner Mutter im selben Arbeitskommando gewesen. Und an meinem Geburtstag sagt sie zu mir Happy Birthday und bringt heraus einen halben Laib Brot, als Geburtstagsgeschenk. Ich weiss bis heute nicht wie sie zu dem gekommen ist. Das werde ich nie vergessen, das war das schönste Geburtstagsgeschenk meines Lebens. Das ist eine Mutter. Wenn Sie das alles erlebt haben, was soll ich Ihnen da noch erzählen..denn der Rest war alles Zufall! Vergessen oder verstehen kann man das nie.“ 

Helga Kinsky

Geb. 1930

1943 wurde Helga mit ihrem Vater nach Theresienstadt deportiert, wo sie in das Mädchenheim L410 eingewiesen wurde. Während ihrer Zeit im Ghetto, begann sie an ihrem Tagebuch zu schreiben, welches als Grundlage für das 2004 erschienene Buch „Die Mädchen von Zimmer 28“ diente. 1944 wurde Helga, wie unzählige Juden und Jüdinnen auch, weiter nach Auschwitz transportiert. Von den 1715 Menschen, die gemeinsam mit ihr ins Konzentrationslager gebracht wurden, haben lediglich 211 überlebt.1945 wurde sie mit einem Gefangenentransport zurück ins Ghetto Theresienstadt gebracht, wo sie die Befreiung erlebte. Abgesehen von den furchtbaren Verbrechen, den Demütigungen und den Morden die sie miterleben musste, ist ihr jedoch besonders die Kunst und Kultur, die in Theresienstadt durch die BewohnerInnen des Ghettos entstand in Erinnerung geblieben. 

„Unter Schock war man, als man nach Auschwitz kam. Vorher hatte man noch Hoffnung. Der Zug steht still, es war so eine angstmachende Stille. Die wurde dann durchbrochen mit Schreien: Alle raus in Fünferreihen! Ich habe keine Zukunft gesehen, aber man ist so unter Schock , weil es einfach unvorstellbar ist was mit einem passiert, da denkt man nicht wirklich.“ Das erste was ich bei meiner Ankunft in Theresienstadt gehört habe, war eine Probe von Smetanas Kuss, die gerade im Keller aufgeführt wurde. Das war für mich die erste richtige Musik, die ich in meinem Leben gehört habe. Theresienstadt – was Kunst und Kultur betrifft, war wirklich ein kulturelles Zentrum in dem deutschen Hitlerreich. Was dort alles umgekommen ist, das können Sie sich nicht vorstellen. Von Komponisten, Künstlern, Musikern… es war wirklich ein Abgesang… Damit war die mitteleuropäische Kultur eigentlich zu Ende. Wenn ich von meinen Erlebnissen in Theresienstadt in einem Lied erzählen soll, dann möchte ich dieses den unzähligen ermordeten jüdischen Musikern und Künstlern widmen, die vom Ghetto in den Tod geschickt wurden.“ 

Gideon Eckhaus

Geb 1923

Bei unserem Gespräch in Tel Aviv, erinnert sich Gideon Eckhaus, wie er am Vorabend des Anschlusses in Wien mit seinem Bruder zur Synagoge ging und die Demonstrationen und Tumulte nahe der Schwedenbrücke miterlebte. Er erzählt, wie der Rabbiner in der Synagoge verkündete, dass die Wehrmacht die Grenze überschritten hat, Unruhen toben, Juden verprügelt und Geschäfte geplündert werden. Er riet den Menschen, auf schnellstem Weg in kleinen Gruppen nach Hause zu gehen. Als Gideon die Synagoge verließ, um über die Rotenturmstraße in den zweiten Bezirk zu gehen, sah er wie innerhalb einer Stunde  alle Wachmänner und Polizisten Hakenkreuzarmbinden trugen und an allen Häusern Hakenkreuzfahnen hingen. Auf der Taborstraße wurden er und sein Bruder verprügelt und schwer verletzt. Gideon konnte jedoch rechtzeitig aus Wien flüchten und reiste über Triest alleine nach Palästina. Später erfuhr er, dass sein Vater in Auschwitz ermordet wurde. Bereits seit 1935 war Gideon Mitglied des zionistischen Jugendverbandes. In Palästina wurde er einige Jahre später Mitglied der Haganah, danach diente er im Militär. Gideon Eckhaus war maßgeblich am Aufbau des Staates Israel, sowie an den Restitutionsverhandlungen mit der österreichischen Regierung beteiligt und war viele Jahre Vorsitzender des Zentralkomitees der Juden aus Österreich in Israel. Obwohl er sich stets für Entschädigungen an Überlebende des Holocaust eingesetzt hat,  hält er den Begriff „Wiedergutmachung“ für grundsätzlich falsch und unzutreffend, da die begangenen Verbrechen durch nichts rückgängig gemacht und nie wieder „gut gemacht“ werden können. Man muss sie akzeptieren und aus der Vergangenheit lernen. „Ich habe immer für die offizielle Anerkennung der Verbrechen gekämpft. Wir haben alles verloren! Wer das nicht verstehen will, wird es niemals verstehen. 

Wie soll man wieder gutmachen, dass meine Kinder nie ihre Grosseltern kennenlernen konnten? Jeder Mensch der ermordet wurde war einzigartig und ein Leben ist durch keine Summe ersetzbar. (…)Bei solchen Dingen die sich bei uns abspielen, müssen wir uns immer an die Vergangenheit ermahnen. (…) Was den Holocaust anbetrifft, wo so viele Menschen um das Leben gekommen sind… Man kann das nicht gutmachen, darüber kann kein Zweifel auf der ganzen Welt sein, das sind Dinge die man nicht ausstreichen kann.“ 

Lucia Heilman

Geb. 1929

Lucia Heilman erzählt während unseres Interviews wie sie als Kind am 12.März 1938 zum Heldenplatz gelaufen ist und das Schreien, das Grölen und die „Heil“ Rufe der Menschenmasse miterlebt hat. Von da an wusste sie, dass sie nicht dazu gehört. Es war eine bedrohliche, angsteinflößende Stimmung im Land. Kurze Zeit später musste sie auf Anweisung des Direktors die Schule verlassen. Eine Demütigung die sie, wie sie selbst sagt, bis heute begleitet. Ihr Großvater wurde von der SS aus der Sammelwohnung in die ihre Familie ziehen musste abgeholt und in Buchenwald ermordet. Reinhold Duschka, der beste Freund von Lucias Vater bot an, die beiden in seiner Metallwerkstatt in der Mollardgasse im 6. Wiener Gemeindebezirk zu verstecken. Dort verbrachte Lucia über 3 Jahre isoliert und abgeschnitten von der Außenwelt, was für das junge Mädchen sehr schwer zu ertragen war. Als im März 1944 die Luftangriffe auf Wien begannen, wurde das Haus in dem sich die Werkstatt befand von einer Bombe getroffen und zum Großteil zerstört. Reinhold Duschka konnte durch einen Bekannten ein Ausweichlokal für seine Werkstatt finden, wo er Lucia und ihre Mutter weitere Monate im Keller versteckte, bis im April 1945 die Russen einmarschierten und sie endlich frei waren. 

„Die Angst entdeckt zu werden war immer da, besonders wenn es an der Tür der Werkstatt geläutet hat. Jede Situation war immer mit riesiger Angst beladen. Aber das Schlimmste war das Unterdrücken des kindlichen Bewegungsdranges. Ich wusste, ich darf nicht laufen, nicht springen, nicht laut sein, dabei ist das für ein Kind so wichtig. Ich hatte keinen Kontakt zu anderen Kindern, konnte nicht spielen, nicht lachen. Ich kann mich eben erinnern wie ich beim Fenster gestanden bin und geweint habe weil ich hinaus wollte, das ist ja eine Sehnsucht nach Freiheit, nach Herumlaufen (…) Vielleicht konnte ich auch nicht ermessen was es bedeutet ohne Ansprache mit Gleichaltrigen so viele Jahre zu verbringen. Das kann sich ja heute kein Mensch vorstellen!  Nie mit einem Kind plaudern, springen, lachen.. 4 Jahre, 4 wichtige Lebensjahre! (…..) Als wir befreit wurden, war das ein unbeschreibliches Gefühl. Nach so langer Zeit konnte ich endlich wieder frei auf der Strasse laufen wohin ich wollte, ich war so glücklich und selig.“


Josef Albin

Geb. 1927

In unserem Gespräch im Elternheim der Israelitischen Kultusgemeinde Maimonides Zentrum erzählt Josef Albin, wie es ihm gelang aus den Konzentrationslagern Lublin und Plaszow zu flüchten. Als er sich 1943  in Lemberg mit 16 Jahren den sowjetischen Partisanen anschloss war ein großer Teil seiner Familie bereits ermordet worden. Anfangs wurde ihm gesagt er sei zu jung, doch der furchtlose Jugendliche bewährte sich schnell als tapferer Kämpfer gegen die Faschisten. Als Mitstreiter des militärischen Geheimdienstes war er grundlegend an der Befreiung mehrerer Städte wie Czernowitz beteiligt.

„Ich wollte, dass die Deutschen dafür bezahlen was sie uns angetan haben. Ich wollte so viele Verbrecher wie möglich vernichten. Angst hatte ich dabei nie. Ich wollte mich einfach für die Morde und Verbrechen rächen.“ 

Eva Fahidi

Geb 1929

Eva Fahidi wurde 1944 gemeinsam mit ihrer Mutter und Schwester ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Bei ihrer Ankunft wurde sie noch auf der Rampe der Bahnstation von Dr Mengele zur Zwangsarbeit ausgesucht. Ihre Mutter und Schwester wurden sofort vergast. Später wurde sie ins Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Bei einem der Todesmärsche 1945 gelang es ihr zu entkommen. Bei unserem Gespräch in Budapest drehten sich ihre Erinnerungen um die furchtbaren Torturen in Auschwitz, den Birkenauer Sumpf in den die Asche der unzähligen Toten geschüttet worden war, den Appellplatz auf dem täglich Demütigungen und Erschiessungen stattfanden und um die allgegenwärtige Todesangst. Sie erzählt von der Folter, den Peitschenhieben, der schweren, mit Asche verseuchten Luft, der Kälte, den Todesschreien der Menschen die in die Gaskammer geschickt wurden und von den Selektionen. Neben all diesen furchtbaren Details des KZ Alltags beschreibt Eva jedoch vordergründig, dass der plötzliche und brutale Verlust ihrer Schwester das Schlimmste war, was sie erleben musste. Sie wollte noch lange nach dem Krieg nicht wahrhaben, dass ihre Schwester Gilike ermordet wurde und hoffte stets darauf, sie eines Tages wieder zu sehen. Eva konnte 45 Jahre lang nicht über die Erlebnisse im Konzentrationslager sprechen, bis sie 2004 begann ihre Erinnerungen aufzuschreiben und in dem Buch „Anima rerum“ (2011 ins Deutsche übersetzt „Die Seele der Dinge“) zu veröffentlichen. Darüber hinaus hat Eva in ihrem Stück „Strandflieder oder die Euphorie des Seins“ ihre Erinnerungen an Auschwitz gemeinsam mit einer jungen Ausdruckstänzerin für die Bühne inszeniert. 

„Die grösste Tragödie meines Lebens geschah so, dass ich sie nicht einmal bemerkte. Innerhalb einer Sekunde war ich allein und habe meinen Vater, meine Mutter, meine Schwester und Verwandte verloren. Mit einem Schlag war meine Kindheit vorbei. Ich war auf mich alleine gestellt, von Mengele selektiert. (…) Was war wohl der letzte Gedanke meiner Mutter in der Gaskammer mit meiner Schwester an der Hand? (…) Für mich wird meine Schwester Gilike immer elf Jahre alt bleiben, weil sie elf Jahre alt war als man sie getötet hat. (…) Diese unnatürliche und unmenschliche Weise auf die es geschah. (…) Diese Bilder, die Verzweiflungslaute, das Wehgeschrei und Jammern kann man nicht vergessen.“

Herbert & Kitty Schrott

Hochzeitsfoto Herbert und Kitty Schrott 1958

Geb. 1934  & 1926

Kitty Schrott konnte 1940 mit ihrer Familie auf einem Schiff aus Wien fliehen. In Rumänien wurden sie auf die „Atlantik“ umgeschifft, die nach Palästina fuhr. Von dort aus wurden sie nach der Zerstörung des Schiffes „Patria“ durch die Haganah von den Briten weiter ins Exil nach Mauritius geschickt. Dort lebte Kitty viereinhalb Jahre unter englischer Aufsicht in einem Lager. Als kleines Kind hatte sie es dort einigermaßen gut. Sie hatte stets zu essen und war in Gesellschaft anderer Kinder. Nach Kriegsende fuhr sie mit ihrer Familie nach Palästina, wo sie einige Zeit lebte und zur Schule ging. 1947 zog die Familie wieder zurück nach Österreich. Obwohl Kitty grosses Glück hatte und den Krieg verhältnismäßig gut überstand, litt sie darunter, in sehr jungen Jahren ihre Heimat zurücklassen zu müssen. In unserem Gespräch betont Kitty, dass sie aufgrund ihrer Erlebnisse während des Krieges, sowie nach ihrer Rückkehr nach Wien 

„das Gefühl vom Anderssein und der Heimatlosigkeit durch ihre jüdische Identität bis heute begleiten.“

Anders als Kitty, musste Herbert Schrott den Terror, die Grausamkeiten und Gewaltexzesse der Nationalsozialisten und die Erbarmungslosigkeit des „entfesselten Wiener Pöbels“ unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs am eigenen Leib erfahren. 1942 wurde er mit seinem Vater vom Aspangbahnhof unter den spöttischen und höhnischen Zurufen des umstehenden Publikums nach Theresienstadt deportiert. Im Oktober 1944 wurde er mit seinen Eltern nach Auschwitz Birkenau transportiert, wo er ummittelbar Zeuge der Selektionen und Vernichtungen wurde. Da sie jung und arbeitsfähig waren, wurden er und sein Vater einige Zeit später nach Kaufering, einem Unterlager Dachaus, geschickt.Dort starb sein Vater zwei Monate vor der Befreiung. Seine Mutter überlebte als Arbeiterin in einer Munitionsfabrik in Deutschland.  

„ Im Grunde genommen reicht die menschliche Sprache nicht aus um Elend, Leid, Angst, Erniedrigung, Brutalität, Terror, Gemeinheit und die begangenen Verbrechen darzustellen. Es war eine Zeit ohne Gnade.“

Alfred Schreier

Geb. 1929

Bei unserem Interview im Elternheim der Israelitischen Kultusgemeinde Maimonides Zentrum erzählt mir Alfred Schreier, wie er als Kind in Wien von anderen Kindern aufgrund seines Judentums verprügelt und gedemütigt wurde. Nach dem Anschluss wurden seine Eltern, Geschwister und er in einem Keller im 17. Bezirk in Wien eingesperrt und verhört. Ihre Wohnung wurde währenddessen von den Nachbarn geplündert. Nachdem er und sein jüngerer Bruder der Schule verwiesen wurden, brachte seine Mutter die beiden in einem Waisenhaus unter. Sein Vater wurde nach Dachau deportiert. Von da an wusste er, dass seine Kindheit vorbei war und er in so jungen Jahren erwachsen sein musste.  1942 wurde er mit seiner Familie in ein italienisches Exildorf zwangsinterniert. Trotz zahlreicher Verbote für Juden wurden sie von den Dorfbewohnern freundlich und würdevoll behandelt. Auch sein Vater wurde einige Monate später freigelassen und durfte zu ihnen ins Exil nachreisen. Es war der große Wunsch seiner Mutter, dass Alfred trotz deren schwieriger Lebensumstände mit 13 Jahren seine Bar Mitzwa feiern kann. Die Behörden ließen ihn, trotz des Verbotes für Juden das Exil zu verlassen, fortgehen. Er reiste alleine, ohne Geld und mit nur einem Laib Brot nach Neapel, wo er den Präsidenten der jüdischen Gemeinde aufsuchte und freundlich von den Gemeindemitgliedern aufgenommen wurde. Kurz darauf feierte er seine Bar Mitzwa in der Synagoge Neapels und kehrte ins Exil zu seiner Familie zurück, wo er bis zum Ende das Krieges lebte. 

„Ich habe schon sehr früh meine ersten Tränen wegen antisemitischen Vorfällen vergossen. Oft bin ich von anderen Jungen abgepasst und verprügelt worden. Eines Tages hat mich dann der Direktor der Schule herausgeworfen weil ich Jude bin (…) Die Bewohner des italienischen Dorfes waren sehr freundlich zu uns. Vor allem wussten sie, dass es intelligenter ist uns trotz des Verbotes zur Schule gehen zu lassen, anstatt dass wir auf der Strasse herumlungern. (…) Ich wanderte alleine, mit kurzer Hose und Hemd den Berg hinunter zum Bahnhof, ohne Geld und nur mit einem Stück Brot in einem Zeitungspapier eingewickelt um nach Neapel zu reisen. (…) Ich werde nie vergessen, wie ein grosser, imposanter Mann -der Präsident der jüdischen Gemeinde – mir die Tür öffnete und mich freundlich empfang. Am Tag meiner Bar Mitzwa war die Synagoge gefüllt mit so vielen gutherzigen Menschen, die mich beschenkten und die darauffolgenden Tage in Neapel herumführten. Ich kehrte mit vielen Geschenken zurück ins Exil. Nach meiner Abreise gab es einen Bombenangriff auf Neapel, bei dem es viele Tote und Verletzte gab.“ 

Marco Feingold

Geb. 1913

Marco Feingold ist Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg und Österreichs altester Überlebende des Holocaust. Er hat unter furchtbarsten Bedingungen vier Konzentrationslager überlebt und wurde Zeuge unbeschreiblicher Gräueltaten. Bei unserem Gespräch in der Salzburger Synagoge erzählt er unter anderem vom Tag des Anschlusses, von dem an alle Hausbewohner die Hakenkreuzarmbinde trugen, die Arisierungen begannen und jüdische Wohnungen an Nazis vergeben wurden.Er erinnert sich wie er in Gestapohaft kam bis er nach Auschwitz deportiert wurde. Er beschreibt die Appelle und Selektionen, die Folter und den Mord als ein „Verlorengehen der Menschlichkeit“. Nach unvorstellbaren Torturen wurde er weiter ins Lager Neuengamme geschickt, wo sein Bruder verstarb. Abgemagert und am Ende seiner Kräfte wurde er einige Zeit später nach Dachau weiter transportiert, wo er erneut Zwangsarbeit und schlimmste Quälereien durchstehen musste. Schließlich wurde er bis zur Befreiung 1945 im Konzentrationslager Buchenwald interniert. Neben den furchtbaren Erlebnissen aus seiner Zeit in den Konzentrationslagern, bedauert Marco vor allem die unmittelbar nach dem Krieg entstandene Verharmlosung und Leugnung der geschehenen Gräueltaten. Vor allem das Abstreiten jeglicher Schuld seitens der „normalen Bevölkerung“ ist für Marco untragbar. Bis heute setzt er sich als Zeitzeuge für Aufklärung an Schulen, in zahlreichen Interviews und Dokumentationen ein und verfasste sein Buch „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“, welches seine Erfahrungen während des Krieges beschreibt.

„Die Bevölkerung hat schon auf den Ruf Göbbels zur Vernichtung der Juden gewartet! Man kann da nichts verheimlichen oder leugnen. Am Tag X trugen sie alle Hakenkreuzbinden! Die Märzveigerl.. Zu sagen man hätte nichts gewusst, ist eine Heuchelei. Jeder wusste was passiert. Aber es existiert ja bis heute dieser Wiener Schmäh: Wir haben ja von nix gewusst, wir waren ja nicht dabei.“

David Rubin

Geb. 1982

 Als Enkel Überlebender des Holocaust und Sohn jüdischer Eltern wurde mir bereits als Kind mitgegeben, stets wachsam gegenüber Antisemitismus zu sein. Die häufig gestellte Frage, ob so etwas wie der Holocaust wieder passieren kann, wird in der Gesellschaft gerne als unrealistisch und absurd angesehen. Trotz der politischen Stimmung die derzeit herrscht, ist ein direkter Vergleich gewiss noch ungeeignet. Allerdings wird oft vergessen, dass die ersten Weichen für den Holocaust unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg gestellt wurden und es über 20 Jahre gedauert hat, bis die damalige Entwicklung auf die schlimmste nur erdenkliche Art und Weise endete. Im Gedenkjahr 2018 habe ich mir oft die Frage gestellt, ob die zahlreichen Reden, Demonstrationen und Veranstaltungen, mit denen im Rahmen des Gedenkens zugleich ein Zeichen gegen Hass und Hetze gesetzt wurde, den aktuellen politischen Entwicklungen tatsächlich entgegenwirken können. Kann das so häufig proklamierte „Nie wieder“ tatsächlich etwas gegen Hass und eine Spaltung der Gesellschaft ausrichten?  Ist ein solches „Nie wieder“ genug um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt? Ab welcher überschrittenen Grenze soll das „Nie wieder“ seine Gültigkeit erlangen? Die Grenze nach oben ist – mit Blick auf die Vergangenheit – gewiss noch offen, allerdings steht fest, dass viele der Grenzen auf die sich das „Nie wieder“ bezieht, bereits überschritten wurden und diese Tatsache von einem großen Teil der Gesellschaft toleriert wird. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass in einer von Hass erfüllten Gesellschaft stets die schlimmsten Seiten im Menschen zum Vorschein kommen und Intoleranz, Hetze und Feindseligkeit eine Eigendynamik entwickeln. Ein Zeichen unter dem Leitsatz „Nie wieder“ zu setzen ist zweifelsohne angebracht und notwendig. Ob es ausreicht um den heutigen Entwicklungen, die jenen aus der Geschichte ähneln, erfolgreich entgegenzuwirken wird sich weisen. Mir ist es ein persönliches Anliegen, ein Zeichen gegen Antisemitismus, Hass und Hetze, rechtes Gedankengut und Intoleranz zu setzen. Das Album „Sternkinder“ ist das Ergebnis intensiver Gespräche mit ZeitzeugInnen und einer umfassenden Auseinandersetzung mit deren Schicksalen. Dabei war es mir wichtig, eine persönliche und empathische Beziehung mit den Mitwirkenden zu erreichen, um deren Gefühle und Gedanken authentisch und ihrem Wesen entsprechend in Text und Musik zu inszenieren.  Als Komponist und Liedermacher wollte ich den HörerInnen durch das Medium der Musik Einblick in die Erinnerungen und Gefühle von ZeitzeugInnen ermöglichen, sowie das in einer aufgeklärten Gesellschaft verankerte Wissen über die historischen Hintergründe des Holocaust um einen emotionalen Zugang ergänzen. Vor allem sollen damit jedoch die Geschichten der Mitwirkenden für die weiteren Generationen erhalten bleiben und stellvertretend für die Schicksale anderer Überlebender und aller Opfer der Shoa unvergessen bleiben. 

Franz Szczepanski

Franz Szczepanski und David Rubin 1983

1914-1996

Mein Großvater Franz Szczepanski wurde als Sohn eines erfolgreichen Geschäftsmannes und Grossgrundbesitzers in Polen geboren. Er konnte den Krieg unter falschem Namen mit gefälschten Dokumenten und dank meiner Großmutter die ihn bei sich vor den Nazis versteckte überleben.  Auf einer Videoaufnahme aus dem Jahr 1993 beschreibt er, wie ein großer Teil seiner Familie ermordet, und deren gesamter Besitz arisiert wurde. Als ich ein Kind war, hat er mir oft erzählt, wie er mithilfe einer Rasierklinge gefälschte Stempel aus dem Gummi alter Autoreifen hergestellt hat, um damit seine Dokumente fälschen und seine jüdische Herkunft geheim halten zu können. Auf der Videoaufnahme beschreibt Franz, wie er und sein Vater von der NKWD voneinander getrennt eingesperrt und verhört wurden. Er hat seinen Vater nie wieder gesehen und erfuhr nie, ob er von den Russen oder den Deutschen, die 1941 einmarschierten, ermordet wurde. Er erzählt wie er sich später mit gefälschten Dokumenten taufen ließ um meine Großmutter, die katholisch war, noch während des Krieges heiraten zu können.Er beschreibt das „ewige Wandern“ von Stadt zu Stadt, unter ständiger Angst vor Denunziation seiner Herkunft, sowie seine Tätigkeit im Widerstand. Nach dem Krieg emigrierte er mit meiner Großmutter nach Österreich, wo sie ihr ganzes Leben verbrachten. Er hat stets versucht zu verstehen, wie es in der Geschichte immer wieder zu Antisemitismus und Verfolgung, Hass und Vernichtung kommen konnte und ging bis ins hohe Alter vorsichtig mit seiner jüdischen Identität um. 

„Die Erzählungen von Menschen, die wie ich diese Zeit erlebt haben, sind für künftige Generationen von größter Wichtigkeit, damit diese aus den Erfahrungen der Vergangenheit entsprechende Schlüsse ziehen können und ähnliche Episoden nie wieder passieren. (…)  Ich wünsche Euch allen und Euren Kindern und Kindeskindern ein glückliches und langes Leben in Frieden. Shalom.“ 

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